GlasfrĂ€se: GlasfrĂ€smaschine hinter verschlossener GlastĂŒr

Abbildung 1: GlasfrÀsmaschine

Arbeitsauftrag

Am Unfalltag sollte der Mitarbeiter besonders empfindliche optische GlÀser an der GlasfrÀsmaschine eines italienischen Herstellers (vgl. Abbildung 1) bearbeiten. Als Zielvorgabe wurden ca. 200 GlÀser pro Tag mit möglichst geringer Ausschussmenge gefordert.

Der Mitarbeiter musste den Bearbeitungsvorgang ĂŒberwachen, die Materialzufuhr der Maschine sicherstellen und die fertigen GlĂ€ser entnehmen. Zudem musste er mögliche Störungen im Ablauf beheben.

Arbeitsablauf

Die GlasfrĂ€smaschine nimmt den Rohling mit einem automatisierten Vakuumgreifer von einem Vorratsstapel und bearbeitet ihn nach einem zuvor eingestellten Programm. Nach Abschluss des Bearbeitungsprogramms wird das fertige Glas mit dem Vakuumgreifer wieder aufgenommen und durch einen röhrenförmigen Auswurfschacht hinabgelassen. Dabei verlĂ€sst das WerkstĂŒck den Bearbeitungsbereich der Maschine und rutscht in eine Auffangeinrichtung. Wegen der hohen Kratzempfindlichkeit der GlĂ€ser wurde die Röhre mit Tuchmaterial ausgelegt, das die GlĂ€ser sanft in die Röhre fallen und durchgleiten lĂ€sst.

Unfallhergang

Zum Unfall kam es, als ein Glas vom Vakuumgreifer in den Auswurfschacht abgelassen wurde und sich dort verkantete. Der Mitarbeiter öffnete die ZugangstĂŒr zur Maschine und griff in den laufenden Bearbeitungsvorgang ein, um das verkantete WerkstĂŒck zu entfernen. Die Maschine hatte inzwischen den Arbeitstakt fĂŒr das nĂ€chste WerkstĂŒck gestartet. Der bereits rotierende FrĂ€skopf fuhr in dem Augenblick in den Bereich (vgl. Abbildung 2), in dem der Mitarbeiter das WerkstĂŒck entfernen wollte. Er zog sich dabei schwere Handverletzungen (u. a. mehrere Frakturen) zu.

GlasfrÀse: FrÀskopf

Abbildung 2: Detailaufnahme vom Arbeitsbereich des FrÀskopfes

Unfallursache

Der BeschĂ€ftigte konnte in die noch laufende Maschine eingreifen, weil die Schutzeinrichtung an der ZugangstĂŒr manipuliert worden war (vgl. Abbildung 3). Das BetĂ€tigungselement des Sicherheitsschalters war von der ZugangstĂŒr gelöst und direkt in den Sicherheitsschalter gesteckt worden. Damit sich die TĂŒr wĂ€hrend des Betriebs durch die Eigenvibration der Maschine nicht selbst öffnet, wurde eine einfache Magnethalterung (ohne Sicherheitsfunktion) installiert.

Abbildung 3: ZugangstĂŒr mit manipulierter Schutzeinrichtung

Abbildung 3: ZugangstĂŒr mit manipulierter Schutzeinrichtung

Die BG ETEM untersuchte den Unfall. Dabei gab der verantwortliche Betriebsleiter an, dass die Maschine gebraucht gekauft und in diesem Zustand angeliefert wurde.

Der Maschinenbediener berichtete, er habe in die laufende Maschine eingegriffen, weil beim Stoppen des Arbeitsvorgangs der Vakuumgreifer den bearbeiteten Glasrohling fallengelassen hĂ€tte. Dieser wĂ€re somit beschĂ€digt worden. Der Auftraggeber hatte nur eine geringe Anzahl an Rohlingen geliefert und die kalkulierte Ausschussmenge sei bereits fĂŒr das Einrichten der Maschine benötigt worden. Es durfte somit kein weiterer Ausschuss produziert werden.

Des Weiteren waren die Bedienelemente der Maschine in italienischer Sprache beschriftet (vgl. Abbildung 4). Bei der Unfalluntersuchung konnten sowohl der Betriebsleiter als auch der Maschinenbediener die genauen Funktionen einiger Bedienelemente nicht erklÀren.

Abbildung 4: Bedientableau der GlasfrÀsmaschine

Abbildung 4: italienisches Bedientableau der GlasfrÀsmaschine

Maßnahmen zur UnfallverhĂŒtung

  • Beim Beschaffen von Maschinen ist darauf zu achten, dass sicherheitstechnische Mindestanforderungen eingehalten sind. Wenn möglich, sollte bereits vor der Anschaffung eine sicherheitstechnische Beurteilung vorgenommen werden (ggf. die Fachkraft fĂŒr Arbeitssicherheit hinzuziehen). Die sicherheitstechnische Beurteilung muss spĂ€testens vor der ersten Verwendung der Maschine erfolgen. Hinweis fĂŒr den Verkauf von Maschinen: Der Verkauf bzw. das Inverkehrbringen einer Maschine darf nur erfolgen, wenn diese bei bestimmungsgemĂ€ĂŸer Verwendung oder vorhersehbarer Fehlanwendung die Sicherheit und die Gesundheit von Personen nicht gefĂ€hrdet.
  • Der Unternehmer muss vor der Inbetriebnahme und Bereitstellung der Maschine dafĂŒr sorgen, dass vorhandene bzw. erforderliche Schutz- oder Sicherheitseinrichtungen funktionsfĂ€hig sind und nicht auf einfache Weise manipuliert oder umgangen werden können.
  • An allen Maschinen muss regelmĂ€ĂŸig geprĂŒft werden, ob die Schutzeinrichtungen noch vorhanden und funktionstĂŒchtig sind. Der Unternehmer muss dies organisieren und dokumentieren.
  • Alle Informationen und Warnhinweise (hier die italienische Beschriftung der Bedienelemente) an der Maschine mĂŒssen eindeutig und fĂŒr den Bediener leicht verstĂ€ndlich sein. Bei einer in Deutschland in Betrieb genommenen Maschine sind alle schriftlichen oder mĂŒndlichen Informationen und Warnhinweise in deutscher Sprache zur VerfĂŒgung zu stellen. ZusĂ€tzlich können diese bei Bedarf auch in weiteren Sprachen verfasst werden, wenn diese vom Bedienpersonal verstanden werden.
  • Außer durch sicherheitstechnische MĂ€ngel können sich GefĂ€hrdungen auch aus der Arbeitsorganisation – z. B. durch Kosten und Zeitdruck sowie unrealistische Arbeitsmengen – ergeben. Neben einer gesundheitlichen Überforderung kann dies zudem sicherheitswidriges Verhalten (z. B. Manipulation von Sicherheitseinrichtungen) fördern. Der Unternehmer muss das im Rahmen seiner GefĂ€hrdungsbeurteilung berĂŒcksichtigen und solchen GefĂ€hrdungen mit geeigneten organisatorischen Maßnahmen entgegenwirken.
  • BeschĂ€ftigte sind vor Aufnahme der TĂ€tigkeit sowie danach regelmĂ€ĂŸig zu sicherheitsgerechtem Verhalten durch Vorgesetzte zu unterweisen. Denn wer Schutzeinrichtungen demontiert odermanipuliert, gefĂ€hrdet nicht nur seine eigene Gesundheit oder sein Leben, sondern auch das seiner Kolleginnen und Kollegen.

Sebastian Seegert und Lars Dehne