Nachdem der Gleichstrom ĂŒber eine lange Zeit ein Schattendasein fristete, hat sich die Zahl der Anwendungen mittlerweile deutlich erhöht. In der Ăffentlichkeit werden vor allem die Photovoltaik und die ElektromobilitĂ€t erwĂ€hnt. Weniger bekannt sind Batteriespeicher im Bereich der versorgenden Infrastruktur, beispielsweise in Rechenzentren. DarĂŒber hinaus gibt es bereits Modellprojekte fĂŒr die effiziente GebĂ€udeenergieversorgung mit Gleichstrom.
In Verbindung mit der wieder hĂ€ufigeren Anwendung stellt sich auch die Frage nach möglichen Gefahren des Gleichstroms. Dazu zĂ€hlt neben der Brandgefahr vor allem die elektrische GefĂ€hrdung durch Körperdurchströmung oder Lichtbogen. Dabei sind auch mögliche spezifische Wirkungen des Gleichstroms auf den Menschen zu berĂŒcksichtigen: Wirkt Gleichstrom Ă€hnlich wie Wechselstrom? Gibt es gegenĂŒber Wechselstrom andere oder zusĂ€tzliche Wirkungen?
Aus historischer Sicht sind diese Fragestellungen nicht neu. Denn die weltweite Elektrifizierung begann zunĂ€chst mit Gleichstrom. Wegen der technisch gĂŒnstigeren Eigenschaften setzten sich jedoch zunĂ€chst Wechselstromsysteme und spĂ€ter Drehstromsysteme durch.
Der Stromkrieg
Aus dieser Konkurrenz zwischen Wechselstrom und Gleichstrom entstand am Ende des 19. Jahrhunderts in den USA ein Konflikt, der in der Ăffentlichkeit als âStromkriegâ bezeichnet wurde. Dabei wurde argumentiert, dass Wechselstrom gefĂ€hrlicher sei. Um dies zu zeigen, wurden bei öffentlichen Demonstrationen sogar Tiere mit Wechselstrom getötet. Letztlich geht auch die Erfindung des elektrischen Stuhls auf diese Zeit zurĂŒck.
Wegen der technischen und wirtschaftlichen Vorteile hat sich der Wechselstrom dennoch letztlich durchgesetzt. Deshalb sind seine Wirkungen auch in der jĂŒngeren Vergangenheit intensiv untersucht worden, sodass hier eine breite Wissensbasis existiert. Die Erkenntnisse sind vor allem auch in die Normung im Bereich der Elektrosicherheit eingeflossen.
Mittlerweile gibt es zunehmend wieder Gleichstromanwendungen, sodass sich die Frage stellt, ob das Wissen ĂŒber die Wirkungen auf den Menschen ausreicht oder ob besondere GefĂ€hrdungen zu berĂŒcksichtigen sind.
Statistik
Im aktuellen Unfallgeschehen mit Strom spielen GleichstromunfĂ€lle eine untergeordnete Rolle. FĂŒr das Jahr 2017 wurden dem Institut zur Erforschung elektrischer UnfĂ€lle 179 GleichstromunfĂ€lle gemeldet. Das entspricht einem Anteil von 6,2 Prozent der gemeldeten StromunfĂ€lle. In den vergangenen zehn Jahren wurden die meisten StromunfĂ€lle bei Arbeiten an elektronischen Schaltungen/Steuerungen, an Photovoltaik (PV)-Anlagen und an Akkumulatoren gemeldet (siehe Tabelle 1). Nach wie vor gibt es auch noch GleichstromunfĂ€lle an SchweiĂgerĂ€ten. AuffĂ€llig bei den aktuellen Gleichstromanwendungen ist die höhere Spannung. Diese fĂŒhrt hĂ€ufiger zu Verletzungen â wie Strommarken an der BerĂŒhrungsstelle. WĂ€hrend sich die WechselstromunfĂ€lle zu 97 Prozent im Spannungsbereich 230 V/400 V ereignen, liegt bei GleichstromunfĂ€llen etwa jeder vierte Fall im Spannungsbereich ĂŒber 500 V. Trotz dieses Unterschiedes gab es jedoch seit 1997 keinen tödlichen Gleichstromunfall.
Tabelle 1: Verteilung der StromunfÀlle mit Gleichstrom
Betriebsmittel Anteil an den GleichstromunfĂ€llen 2008-2017 (in %)Mess-, PrĂŒfgerĂ€te, Regeleinrichtungen, Elektronikschaltungen
17,6
Photovoltaikanlagen
16,0
Akkumulatoren, Batterien, Ladeeinrichtungen
12,9
SchweiĂgerĂ€te
11,9
El. AusrĂŒstung von Maschinen und Anlagen
10,5
Erzeugung und Umformung
9,6
El. Verteilungen, Versuchsschaltungen, Laboraufbauten
9,2
Verbraucher (Elektrowerkzeuge, Leuchten)
5,9
Fortleitung und Ăbertragung (Kabel, FahrdrĂ€hte,âŠ)
2,8
IT, Nachrichtentechnik, Datentechnik
2,5
Sonstiges, keine Angabe
1,1
Quelle: Institut zur Erforschung elektrischer UnfÀlle
Was ist Gleichstrom?
Unter Gleichstrom wird ein zeitlich konstanter elektrischer Strom verstanden, der keine oder nur eine geringe Welligkeit besitzt. UnabhĂ€ngig davon sind jedoch hinsichtlich der Wirkung auf den Menschen auch der Ein- und Ausschaltzeitpunkt sowie der Zeitpunkt der BerĂŒhrung und des Loslassens zu berĂŒcksichtigen.
Wirkungen elektrischer Gleichströme auf den Menschen
Wie Wechselstrom ist auch Gleichstrom bereits bei kleinen StromstĂ€rken leicht zu spĂŒren (sensible Wahrnehmung). Insbesondere die StromĂ€nderung beim BerĂŒhren oder Loslassen der Kontakte wird deutlich empfunden. Aber auch die Durchströmung ist deutlich wahrnehmbar. An der Kontaktstelle ist ein Kribbeln zu spĂŒren, das sich mit steigender StromstĂ€rke zu einem schmerzhaften Stechen verĂ€ndert. Im Vergleich zu Wechselstrom (50 Hz) fĂŒhlt sich Gleichstrom tatsĂ€chlich etwas anders an (siehe Tabelle 2).
Wechselstrom* | Gleichstrom** | ||
---|---|---|---|
Wirkungen | StromstÀrke in mA | Wirkungen | |
keine |
bis 0,6 |
bis 2 |
keine |
merklich, in steigender IntensitĂ€t, Muskelkontraktion, aber willkĂŒrlich ĂŒberwindbar |
0,6-6 |
7 |
leichtes Kribbeln |
schmerzhaft, Loslassen in steigender HÀufigkeit unmöglich |
6.0 - 15.0 |
12 |
WĂ€rmegefĂŒhl und verstĂ€rktes Kribbeln in den HandflĂ€chen, leichter Druck in den Handgelenken |
Loslassschwelle fast immer ĂŒberschritten, geringf. Wirkungen auf Atmung und Kreislauf |
15-25 |
21 |
starker Druck bis Stechen in den Handgelenken |
Loslassen unmöglich, steigende Wirkung auf Atmung und Kreislauf (Herzbeschleunigung, Rhythmusstörung, Blutdrucksteigerung, Atembehinderung) | 25-50
|
27 |
Kribbeln im Unterarm, Druckschmerz in den Handgelenken, stechender Schmerz in Handgelenken, WĂ€rmegefĂŒhl |
32 |
verstÀrkter Druckschmerz in Handgelenken, Kribbeln bis in die Ellenbogen reichend |
||
35 |
heftige Druckschmerzen in Handgelenken, stechende Schmerzen in den HĂ€nden |
||
43 |
sehr starker Druckschmerz in Handgelenken, heftig ziehende und stechende Schmerzen in den HÀnden, höchstens 10 s auszuhalten |
||
steigende Gefahr von Herzkammerflimmern bei (t > 1 HP), starke Rhythmusstörungen, Herzstillstand, Atmung schwer behindert, Blutdrucksteigerung |
50-80 |
FĂŒr diesen StromstĂ€rkebereich liegen bislang keine Untersuchungsergebnisse vor. |
|
oft Kammerflimmern (t > 1 HP***) |
80-120 |
||
bei (t < 1 HP) steigt Flimmerwahrscheinlichkeit, bei (t > 1 HP) hÀufig tödlich. |
120-800 |
||
hÀufig Kammerflimmern, therm. Wirkungen |
800-2.000 |
||
* Brinkmann, Schaefer: Der Elektrounfall, Springer-Verlag Berlin 1982 ** Osypka, P.: Messtechnische Untersuchungen ĂŒber StromstĂ€rke, Einwirkungsdauer und Stromweg bei elektrischen WechselstromunfĂ€llen an Mensch und Tier, Bedeutung und Auswertung fĂŒr Starkstromanlagen; Elektromedizin Bd. 8 (1963) H. 3,4 *** Durchströmung lĂ€nger als eine Herzperiode |
Die Schwellenwerte, die sich fĂŒr den Menschen messtechnisch noch einfachermitteln lassen, liegen bei Gleichstrom deutlich höher als beim Wechselstrom (50 Hz). Erfahrungswerte dazu gibt es aus der Elektrotherapie. Hier wird die schmerzlindernde und durchblutungsfördernde Wirkung des Gleichstroms therapeutisch genutzt. Die Dosis (Stromdichte) wird von Therapeuten so festgelegt, dass ein leichtes, schmerzloses Kribbeln empfunden wird. Insofern sind die Wirkungen kleiner StromstĂ€rken durchaus bekannt.
Neben der Wahrnehmung kommt es auch zur Reizung motorischer Nerven. Ăber diese werden Muskeln erregt, sodass eine Muskelkontraktion ausgelöst werden kann. Insbesondere der Beginn und das Ende der Durchströmung (der BerĂŒhrung) können eine heftige Zuckung auslösen. Diese Muskelreaktion fĂŒhrt dazu, dass sich der Betroffene schlagartig von der BerĂŒhrungsstelle löst oder sogar weggeschleudert wird. Das fĂŒhrt hĂ€ufig zu schweren Verletzungen.
Eine besondere Gefahr bei einem Unfall mit Wechselstrom besteht darin, dass beim Ăberschreiten der Loslassschwelle eine andauernde Muskelkontraktion erfolgt, die ein Loslassen verhindert. Ob dieser Effekt bei hohen Gleichströmen ĂŒberhaupt auftritt, ist bislang unbekannt. In den nĂ€chsten Jahren wird sich die Forschung diesem Problem widmen.
StromunfĂ€lle können grundsĂ€tzlich tödlich enden â denn der elektrische Strom kann die Herzerregung beeinflussen. Die Folge ist das sogenannte Herzkammerflimmern, das ohne geeignete Therapie zum Tod fĂŒhrt. Auch bei Gleichstrom besteht diese Gefahr. Die Schwellenwerte dafĂŒr wurden in der Vergangenheit durch Tierversuche ermittelt und besitzen den typischen geschwungenen Verlauf wie bei Wechselstrom.
FĂŒr beide Stromarten besitzt die Flimmerschwelle in AbhĂ€ngigkeit der Durchströmungsdauer ein oberes und ein unteres Niveau. Dies deutet darauf hin, dass auch bei Gleichströmen und lĂ€ngeren Durchströmungsdauern das Herz empfindlicher wird. Die Ursache dafĂŒr ist jedoch eine andere als beim Wechselstrom: Neben dem Reiz beim Ein- und Ausschalten bewirkt Gleichstrom wĂ€hrend der Durchströmung einen Automatismus der Herzmuskelzellen. Im Gegensatz dazu sind die Schwellenwerte bei kurzen Durchströmungsdauern fĂŒr Gleich- und Wechselstrom (50 Hz) fast identisch.
Bei lĂ€ngeren BerĂŒhrungsdauern stellt sich auch die Frage, ob es zu elektrochemischen Wirkungen des Gleichstroms kommt. An den BerĂŒhrungsstellen können VerĂ€tzungen der Haut auftreten. Durch chemische Reaktionen bildet sich an der Kathode eine SĂ€ure und unter der Anode eine Lauge. Nicht selten unterscheiden sich deshalb die Strommarken an den BerĂŒhrungsstellen fĂŒr beide PolaritĂ€ten. Infolge des Gleichstroms können die elektrisch geladenen Blutzellen aufgelöst werden (HĂ€molyse). Das dabei freigesetzte HĂ€moglobin kann in der Folge zu NierenschĂ€den fĂŒhren. Auch die Zersetzung der Muskulatur (Rhabdomyolyse) kann wegen der Freisetzung vom Myoglobin im Blut die Nieren schĂ€digen. Schwellenwerte fĂŒr diese elektrochemischen Wirkungen sind bislang nicht bekannt.
Fazit und Forschungsbedarf
Gleichstrom wird zukĂŒnftig mehr Anwendungen finden und bedeutsamer werden. Deshalb mĂŒssen Unternehmer und BeschĂ€ftigte, die mit elektrischem Gleichstrom zu tun haben, ihr Wissen ĂŒber dessen Wirkungen in Ausbildung und Praxisauffrischen. Unangenehme Wahrnehmungen â wie etwa Stechen oder DruckgefĂŒhlâ können bei Gleichstrom ebenso auftreten wie schmerzhafte Muskelkontraktionen. GrundsĂ€tzlich kann auch Herzkammerflimmern entstehen, wobei sich der Mechanismus von dem bei Wechselstrom unterscheidet. Neben diesen Effekten kann es auch zu VerĂ€tzungen an den BerĂŒhrungsstellen oder zur Auflösung des Blutes kommen. Auch die â hier nicht nĂ€her betrachtete â GefĂ€hrdung durch den Lichtbogen muss in der Praxis berĂŒcksichtigt werden.
Derzeit werden im Rahmen der internationalen Normungsarbeit und unter Begleitung der BG ETEM die Wirkungen des Gleichstroms untersucht. Die Ergebnisse dieses Projektes werden auch in die PrÀventionsarbeit der BG ETEM eingehen.
Dr. Christian RĂŒckerl