Dreckiges Geschirr mit Logo Chefsache

Wenn in der Umgebung Unordnung und Nachlässigkeit herrschen, gleicht sich die innere Einstellung oft an

Stellen Sie sich bitte zwei Küchen vor“, fordert Hiltraut Paridon die mehr als 200 Teilnehmer der BG-Tagung in Rheinsberg (Brandenburg) auf, „eine unordentliche und eine ordentliche“. In der unordentlichen stehe das dreckige Geschirr in der Spüle und im Raum herrsche Chaos, in der ordentlichen Küche sei alles sauber und die Dinge stünden da, wo sie hingehören. „Und jetzt stellen Sie sich bitte in beiden Küchen jeweils zwei Schalen vor – die eine mit Keksen gefüllt, die andere mit Karotten“, fährt die Professorin an der Hochschule für Gesundheit in Gera fort. „In welcher Küche greifen die Menschen zu welcher Schale?“

Diese Frage hat Prof. Hiltraut Paridon, seit 2017 Leiterin des Bachelor- und Masterstudiengangs Medizinpädagogik an der Thüringer Hochschule, auch schon im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie untersucht. Das Ergebnis: „In der schlampigen Küche bedienten sich die Probanden deutlich ausgiebiger an der Keksschale als in der ordentlichen; sie aßen etwa doppelt so viele der Kalorienbomben“, erklärt Paridon den interessiert lauschenden Fach- und Führungskräften. Die Erklärung der Psychologin für das Verhalten der Test-Teilnehmer: „Das chaotische Umfeld löst vermutlich die innere Einstellung aus: ,Alles scheint hier außer Kontrolle – warum sollte ich mich nicht auch gehen lassen?‘“

Auf das Feld der Arbeitssicherheit übertragen, belegt das Resultat der Studie nach Ansicht Paridons: „Wir müssen eine gesunde und sichere Arbeitsumgebung schaffen, um die Arbeitssicherheit in Unternehmen zu verbessern.“ Dabei nimmt sie Bezug auf Analysen des britischen Gesundheitsexperten Sir Michael Marmot. Dieser kommt zu dem Schluss, es sei „unsinnig“ zu erwarten, „dass Menschen ihr Verhalten ändern, wenn die soziale, kulturelle und physische Umgebung dagegenspricht“.

Erneut mit Blick auf das Tätigkeitsfeld der Experten für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in Rheinsberg erklärt die Geraer Psychologin, richtiges oder falsches Verhalten von Arbeitnehmern werde stark von möglichen Belohnungen oder Strafen beeinflusst. „Wir verhalten uns falsch, weil unser Verhalten die falschen Konsequenzen nach sich zieht“, so Paridon.

Prof. Dr. Hiltraut Paridon ist Psychologin. Sie lehrt an der Hochschule für Gesundheit in Gera.

Prof. Dr. Hiltraut Paridon ist Psychologin. Sie lehrt an der Hochschule für Gesundheit in Gera.

Als Ansatzpunkt für richtiges Verhalten stellt die auch als Arbeitspsychologin bekannte Wissenschaftlerin einer – im Berufsalltag möglicherweise fatalen – Nachlässigkeit die von den amerikanischen Psychologen Edwin Locke und Gary Latham entwickelte „Zielsetzungstheorie“ entgegen. Danach wirken sich konkrete Zielfaktoren direkt auf die Arbeitsleistung aus. Diese sei umso besser, je klarer und schwieriger, aber dennoch erreichbar ein Ziel formuliert ist und je mehr sich ein Mitarbeiter für dieses Ziel persönlich einsetzt, hatten Locke und Latham festgestellt.

Auf das heutige Arbeitsleben vieler Menschen bezogen, bedeutet dies nach Ansicht Paridons: „Ziele müssen konkret sein. Also nicht ‚Ich will weniger Zeit mit dem Smartphone verbringen‘, sondern ,In den nächsten vier Wochen will ich jeden Dienstag und Donnerstag zwischen 20 und 22 Uhr mein Smartphone ausschalten‘.“

Das Fazit der Wissenschaftlerin: Eine Verhaltensänderung im Arbeitsleben wird nur funktionieren, „wenn wir die Umgebung mitgestalten können, die Konsequenzen unseres Verhaltens beachten und gestalten, die vom Unternehmen vorgegebenen Ziele anregend und zugleich erreichbar sind und es für unterschiedliche Gruppen auch unterschiedliche Maßnahmen gibt“.