Eigentlich hatte Thomas StrauĂ andere PlĂ€ne: Anfang der Siebzigerjahre betrieb der gelernte Tankwart aus LĂŒbeck eine Tankstelle im Ort, das GeschĂ€ft lief gut. Dann kam die Ălpreiskrise. âDa lief es dann nicht mehr so gut. Ich habe mich anderweitig umgesehenâ, erzĂ€hlt der 75-JĂ€hrige.
Er sattelte um, von Kraftstoff auf Kohlekraftwerk, und fing beim Stromversorger Nordwestdeutsche Kraftwerke (NWK) am Standort LĂŒbeck-Siems an. Zwei Jahre lang half er zunĂ€chst bei Wartungsarbeiten aus, prĂŒfte unter anderem Rohrleitungen. âDeren Isolierungen waren asbesthaltig. Damals war das Zeug ĂŒberallâ, sagt StrauĂ.
Heute ist Asbest das bekannteste Beispiel fĂŒr Gefahrstoffe, die langfristig Krebs verursachen können, wenn man sie einatmet. Knapp zwei Drittel aller TodesfĂ€lle, die 2020 in Deutschland als Folge anerkannter Berufskrankheiten eintraten, gehen auf das Material zurĂŒck.
In Deutschland leiden mehrere Hunderttausend Menschen an Atemwegserkrankungen, die im Zusammenhang mit gefÀhrlichen StÀuben wie Asbest stehen. Fast 2.000 Betroffene sterben jedes Jahr an den Folgen. Der Einsatz von Asbest ist in Deutschland deshalb bereits seit mehr als 25 Jahren verboten.
Asbest immer noch allgegenwÀrtig
Trotzdem ist der Umgang mit gefĂ€hrlichen Stoffen wie diesem fĂŒr viele BeschĂ€ftigte nach wie vor Alltag. Sie geraten etwa bei Altbausanierungen mit den krebserregenden FaserstĂ€uben in Kontakt. Ein FĂŒnftel der GebĂ€ude hierzulande enthĂ€lt Asbest in DĂ€mmstoffen und Dachplatten, auch in Fliesenklebern und Farben findet sich der Stoff noch. Zwischen dem Einatmen von AsbestfaserstĂ€uben und der Diagnose einer Krebserkrankung kann eine lange Zeit liegen. Sind oder waren BeschĂ€ftigte krebserzeugenden Gefahrstoffen ausgesetzt, dann mĂŒssen Unternehmen sowohl ihren aktuellen als auch ehemaligen Mitarbeitenden eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge anbieten.
Gesundheitsvorsorge seit 1972
Die sogenannte nachgehende Vorsorge bei Asbestbelastung ĂŒbernehmen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen fĂŒr ihre Mitgliedsbetriebe. Schon vor Jahrzehnten wurden Einrichtungen gegrĂŒndet, die sich auf die arbeitsmedizinische Vorsorge nach einem beruflichen Umgang mit krebserzeugenden Gefahrstoffen spezialisiert haben und gewĂ€hrleisten, dass die Vorsorge regelmĂ€Ăig nach besten medizinischen Standards durchgefĂŒhrt wird. Eine dieser Einrichtungen ist die 1972 als âZentrale Erfassungsstelle AsbeststaubgefĂ€hrdeter Arbeitnehmerâ gegrĂŒndete Gesundheitsvorsorge (GVS) in Augsburg â als Auftragseinrichtung gefĂŒhrt von der BG ETEM. Im Jahr 2022 feiert die GVS ihr 50-jĂ€hriges Bestehen.
Krebs frĂŒh erkennen
Die GVS kĂŒmmert sich um Arbeitnehmende, die wĂ€hrend ihres Berufslebens StĂ€uben von Asbestfasern, kristallinem Siliziumdioxid (Quarzstaub) oder kĂŒnstlichen Mineralfasern ausgesetzt waren. Sie unterliegen dem Risiko, an LungenverĂ€nderungen, Lungenkrebs oder asbestverursachten Weichteiltumoren (Mesotheliome) des Rippenfells, des Bauchfells oder des Herzbeutels zu erkranken. Versicherte selbst mĂŒssen nicht tĂ€tig werden: Ihre Arbeitgeber melden die entsprechenden Daten fĂŒr die nachgehende Vorsorge online ĂŒber das extra eingerichtete zentrale Meldeportal der DGUV Vorsorge unter www.dguv-vorsorge.de. Den Rest erledigt die GVS. Sie schreibt die Versicherten regelmĂ€Ăig an â in der Regel alle drei Jahre, Personen mit hohem Lungenkrebsrisiko sogar jedes Jahr. StrauĂ nimmt die Vorsorge der GVS regelmĂ€Ăig in Anspruch. Zwar wechselte er innerhalb von NWK, die nach mehreren Fusionen heute als Preussen Elektra zum E.on-Konzern gehört, bald in die Fahrbereitschaft und kam dort nicht mehr mit Asbest in BerĂŒhrung. Trotzdem nahm er das Angebot zur Vorsorge gerne an, als der Betriebsrat Anfang der Neunzigerjahre dafĂŒr warb. âIch dachte mir: Das ist ein sinnvolles Angebotâ, sagt StrauĂ, der 2001 in den Vorruhestand ging.
Kontrolle und Entwarnung
Anfang 2020 stellte der Arzt bei der nachgehenden Vorsorge einen kontrollbedĂŒrftigen Lungen-Rundherd fest. Es folgten mehrere Zusatzuntersuchungen, die GVS band eine zweitbeurteilende Ărztin mit ein. Diese konnte StrauĂ in einem persönlichen GesprĂ€ch Entwarnung geben, dass die weiterfĂŒhrenden Untersuchungen den Verdacht auf Lungenkrebs nicht bestĂ€tigt haben. âDas war eine groĂe Erleichterung und hat bewiesen, dass die Vorsorge auch nach dem Berufsleben sinnvoll istâ, sagt StrauĂ. Der 75-JĂ€hrige wird seine Einladung zur Vorsorge kĂŒnftig jĂ€hrlich erhalten statt wie bisher alle drei Jahre. âDa gehâ ich dann gerne hin, zumal ich mich immer gut betreut gefĂŒhlt habeâ, sagt StrauĂ. Die regelmĂ€Ăige Kontrolle schade ja auch nicht â im Gegenteil.
Annika Pabst/Annette Koch
Das Angebot der GVS
â So lĂ€uft die nachgehende Vorsorge ab
Im Zentrum steht das Ă€rztliche BeratungsgesprĂ€ch. Als Vorsorgeuntersuchung kommt neben einer LungenfunktionsprĂŒfung eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs infrage. Personen mit hohem Lungenkrebsrisiko können im Rahmen eines erweiterten Vorsorgeangebots darĂŒber hinaus eine hochauflösende Computertomografie mit geringer Strahlendosis (LD-HRCT) erhalten. Damit lassen sich asbestverursachte Lungentumore gegebenenfalls in einem frĂŒhen Stadium entdecken, was Heilungschancen und Behandlungsmöglichkeiten deutlich verbessert.
â Regel-Vorsorge
Alle drei Jahre erhalten Arbeitnehmer mit Gefahrstoffkontakt eine Einladung.
â Erweiterte Vorsorge bei hohem Risiko
Die Einladung erfolgt jÀhrlich. In diesem Rahmen ist eine zusÀtzliche Computertomografie möglich.
â Freiwillig und kostenlos
Die Teilnahme an der Vorsorge ist fĂŒr Versicherte freiwillig und kostenlos. Fahrt-kosten und Verdienstausfall werden erstattet. ErhĂ€rtet sich bei der Vorsorgeunter-suchung der Verdacht auf eine Berufskrankheit, ĂŒbernimmt die jeweils zustĂ€ndige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse den Fall sowie die weitere Behandlung.