Das Foto zeigt einen Schacht in dem Fernwärmeleitungen verlegt werden. Zwei Rohre sind zu erkennen, die in dem Schacht liegen.

Für die teilweise im Pressverfahren gebaute Fernwärmeleitung mussten Pressschächte erstellt werden.

Baustellen bergen ein erhöhtes Potenzial für Arbeitsunfälle – nicht nur wegen verschachtelter Arbeitsabläufe und unterschiedlicher Wetterlagen. Auch wegen des Einsatzes verschiedener Gewerke, auftretendem Zeitdruck oder dem Einsatz großer Maschinen kommt es immer wieder zu baustellenbedingten Gefahren – teilweise auch für Leib und Leben.

Bei einer Zusammenarbeit auf Baustellen kann es, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zum gleichen oder unterschiedlichen Unternehmen, nahezu immer zu einer gegenseitigen Gefährdung kommen. Die Besonderheit liegt darin, dass die Gefahr durch die Tätigkeit einer oder mehrerer Personen geschaffen oder nicht pflichtgemäß beseitigt wird und dadurch andere Personen gefährdet werden können.

Wenn mit Rohrnetzbaustellen Versorgungsnetzstrecken errichtet werden – z. B. zur Gas-, Wasser-, Abwasser- oder Fernwärmeversorgung – besteht zusätzlich zu den üblichen Gefahren einer stationären Baustelle das Problem, dass es sich um wandernde Baustellen handelt. Diese Trassen können sich über mehrere Kilometer erstrecken und mehrere Stellen aufweisen, an denen parallel gearbeitet wird. Die Komplexität solcher Baustellen stellt Unternehmer, Sicherheitsbeauftragte und weitere Beschäftigte zur Umsetzung des Arbeitsschutzes vor eine besondere Herausforderung.

Großprojekt Fernwärmetrasse

Diese Illustration zeigt die 13 km lange Baustelle, wo auch die komplette Fernwärmetrasse im unteren Teil eingezeichnet ist. Im oberen Teil dieser Ilustration sind alle Örtlichkeiten (Firmen, Straßen, Grünflächen, Stadtgebiete) angegeben.

Verlauf der 13 km langen Fernwärmetrasse mit allen Örtlichkeiten

Vor diesem Problem stand auch die Uniper Wärme GmbH bei der Erstellung einer Fernwärmetrasse im nördlichen Ruhrgebiet vor große Herausforderungen. Ab 2016 baute sie in nur 18 Monaten eine 13 km lange Fernwärmeleitung zwischen Datteln und Recklinghausen mit einem Nenndurchmesser DN 800, ausgelegt für 26 bar und 140 Grad C. Die zu bauende Fernwärmeleitung setzte sich zusammen aus 11,4 km erdverlegter Kunstoffmantelrohrleitung und 1,6 km Freileitung aus Stahlrohr mit Wärmedämmung. Der Trassenverlauf führt durch Industrie- und landwirtschaftliche Flächen, aber auch durch Wohngebiete.

Innerhalb des Projekts mussten eine Reihe von Besonderheiten und Hürden gemeistert werden:

  • Zur Vorbereitung des Baus mussten entlang der Trasse Rodungsarbeiten erfolgen und die Baustellen eingerichtet werden (unter Beachtung der benötigten Abmessungen des Rohrgrabens und der Arbeitsfläche).
  • Der Trassenverlauf der Leitung wurde über mehrere Kilometer in einem vorhandenen stillgelegten Bahndamm integriert, wobei die Dammhöhen teilweise über vier Meter betrugen.
  • Parallel zum Bau der Rohrleitungstrasse wurden vier Brücken neu erstellt und acht saniert. Die Planung der Brückenneubauten und Sanierungsmaßnahmen mussten weit vor Baubeginn abgeschlossen sein, damit u. a. die vier neuen Brückenbauwerke vorgefertigt und später mittels Schwerlastkränen pünktlich eingehoben werden konnten.
  • Die örtlichen Platzverhältnisse und infrastrukturelle Gegebenheiten führten zu Erschwernissen. Dazu gehörte u. a. die Sanierung einer Autobahnbrücke, die über die sechsspurige Autobahn A2 verläuft. Die Sanierung der Brücke musste bei laufendem Autobahnverkehr stattfinden.
  • Für die spätere Verwendung der Fernwärmetrasse wurden auf der Strecke acht Schachtbauwerke errichtet. Drei davon dienten auch als Grundlage für Pressungen, um stark frequentierte Straßen zu unterqueren. Bei der Erstellung der drei Pressgruben musste der Arbeitsschutz für das Arbeiten in tiefen Schächten berücksichtigt werden. Dazu gehörte, dass die Umgebungsluft permanent durch Messgeräte überwacht und die Rettungskette zu jeder Zeit aufrecht gehalten werden musste. Dafür wurden z. B. spezielle Rettungskörbe bereitgestellt und eine dauerhafte Besetzung des dafür vorgesehenen Mobilkrans sichergestellt.

Dieses Foto zeigt denTeil einer Brücke, wo im Unterbau die Fernwärmeleitung verlegt wurde. Davor steht ein großer Kran, der den Brückenteil hält.

In diesem Teil der Trasse wurde die neue Fernwärmeleitung im Unterbau einer Brücke verlegt (gelbe Schutzkappen sind sichtbar).

50 Einzelbaufelder

Für alle genannten Arbeiten ergaben sich in den Spitzenzeiten bis zu 50 parallel wirkende Einzelbaufelder mit einer Besatzungsstärke von über 200 Mitarbeitern unterschiedlichster Partnerfirmen. Um dieses anspruchsvolle und zeitlich eng geplante Projekt mit vielen gleichzeitig wirkenden Arbeitern umzusetzen, entwickelte die Uniper Wärme GmbH ein Konzept zur Erfüllung der Arbeitsschutzvorgaben und zur Koordinierung aller Aufgaben.

Für den Unternehmer besteht die Pflicht, beim gleichzeitigen Einsatz eigener Mitarbeiter und bei Arbeiten mehrerer Unternehmer auf einer Baustelle alle Tätigkeiten aufeinander abzustimmen. Das Arbeitsschutzgesetz, die Baustellenverordnung und die DGUV Vorschrift 1 fordern sogar den Einsatz eines Koordinators.

Um eine sichere Zusammenarbeit zu gewährleisten, wurde ein verstärkter Einsatz von Sicherheits- und Gesundheitskoordinatoren („SiGeKo“) vereinbart und grundsätzlich eine Begehung jeder Baustelle an 3 Tagen pro Woche festgelegt. Diese Begehungsrate erhöhte oder verringerte sich je nach Gefährdungspotenzial und Tätigkeitsaufkommen. An ausgewählten Punkten mit einem hohen Gefährdungspotenzial, z. B. bei gleichzeitig laufenden Arbeiten an Brücken, wurde die Tätigkeit des SiGeKo zeitweise auf 5 Tage pro Woche ausgeweitet. Der SiGeKo übernahm auch die unterstützende arbeitssicherheitstechnische Betreuung der Gesamtmaßnahme. Er stand den Partnerfirmen als Berater zur Seite und unterstützte bei Fragen und Problemen zum Thema Arbeitssicherheit.

Weitere Schwerpunkte des Arbeitsschutzkonzepts für diese Großbaustelle:

Baustellenordnung:

Um allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nachhaltig zu zeigen, dass entlang der gesamten Baustelle die Baustellenordnung einzuhalten ist, wurden an allen Zugängen Baustellenbanner montiert. Darauf befanden sich Hinweise zum Tragen der Persönlichen Schutzausrüstung (PSA – Helm, Warnkleidung und Sicherheitsschuhe). Das Banner diente aber auch dazu, auf die Existenz des Baufeldes und das Betretungsverbot hinzuweisen.

Einweisung:

Zur Einweisung von Fremd- bzw. Partnerfirmen wurde von der Uniper Wärme GmbH ein elektronisches Einweisungssystem errichtet. Dieses System unterstützte bei Hinweisen auf Gefährdungen der Baustelle und bei der Vermittlung gemeinsamer Regeln. Dieses Verfahren mussten alle Mitarbeiter der Partnerfirmen vor Tätigkeitsaufnahme auf der Baustelle durchführen. Eine Dokumentation der persönlichen Einweisung erfolgte durch Angabe des Namens der Partnerfirma, des Mitarbeiters, sowie durch ein Foto der Person. Um die Einweisung auf der Trassenbaustelle kontrollierbar zu gestalten, erstellte die Uniper Wärme GmbH für die dort Beschäftigten Baustellenausweise. Zudem mussten Aufkleber gut sichtbar getragen werden.

Rettungskonzept:

Da sich die Baustelle über mehrere Kilometer erstreckte und an mehreren Teilabschnitten gleichzeitig gearbeitet wurde, musste im Vorfeld auch ein Rettungskonzept erarbeitet werden. Aufgrund der fehlenden Ortskenntnisse der Partnerfirmen organisierten die Uniper-Verantwortlichen den gesamten Trassenverlauf mithilfe von 17 Lotsenpunkten. Hierbei wurden die nicht klar durch Straßennamen und Hausnummern ermittelbaren Flächen, z. B. landwirtschaftliche Flächen und der ehemalige Bahndamm, durch GPS Daten erfasst.

Die einzelnen Lotsenpunkte waren mit den örtlichen Rettungskräften abgesprochen und in das Leitsystem der Feuerwehr eingepflegt. Um das Rettungskonzept bei den Partnerfirmen zu integrieren, wurde es in deren Arbeitssicherheitskonzept aufgenommen und die Mitarbeiter hierzu unterwiesen. Die Verantwortlichen überprüften zudem insbesondere zu Baubeginn durch Einzelgespräche mit den jeweiligen Beteiligten verstärkt das Mitführen des Lotsenpunkteplans sowie die Kenntnisse zum Rettungskonzept.

Ersthelfer:

Um den Bedarf an Ersthelfern sicherzustellen, benannten die jeweiligen Partnerfirmen diese Personen gegenüber der Uniper Wärme GmbH namentlich. Da in der Regel aber mehrere Firmen gleichzeitig in den Teilabschnitten tätig waren, wurden alle Ersthelfer durch einen auffällig zu tragenden Aufkleber gekennzeichnet. Damit konnten alle vor Ort Beschäftigten auch einen nicht in der eigenen Firma beschäftigten Ersthelfer eindeutig erkennen und hätten ihn im Notfall ansprechen können.

Präsenzerhöhung:

In Bauphasen mit erhöhtem Tätigkeitsaufkommen und daraus steigendem Gefährdungspotenzial erhöhte die Uniper Wärme GmbH durch den zusätzlichen Einsatz von Sicherheitsfachkräfte die Präsenz auf der Baustelle. Hierdurch wurden Tätigkeitssituationen mit erhöhtem Gefährdungspotential frühzeitig identifiziert und durch vermittelnde Gespräche entschärft.

Bewertung der Mängel auf der Baustelle (Nach Nohl)

Anzahl Begehungen im Projekt gesamt

5.293

100 %

davon mängelfrei:

Legende (Risikobeurteilung nach Nohl)

Summe Mängel (Anteile)

Gering

Wahrscheinlichkeit des Eintreffens der Gefährdung:
Gering bis mittel Mögliche Schadensauswirkung:
Leichte bis mittelschwere Verletzungen

247

4,7 %

Mittel

Wahrscheinlichkeit des Eintreffens der Gefährdung:
Mittel bis hoch Mögliche Schadensauswirkung:
Mittelschwere bis sehr schwere Verletzungen sind möglich

280

5,3 %

Hoch

Wahrscheinlichkeit des Eintreffens der Gefährdung:
Hoch, ständig vorhanden Mögliche Schadensauswirkung:
Sehr schwere Verletzungen bis Tod

60

1,1 %

Summe aller Mängel:

587

11,1 %

Die Anteile der Mängelgruppen stellen sich so dar:

Diese kreisförmige Abbildung zeigt in vier verschiedenen Farben die Anteile der Mängelgruppen an.

Fazit für das Arbeitsschutzkonzept

Insbesondere der verstärkte Einsatz des SiGeKo hat sich für das Großprojekt bewährt. Über die Gesamtzeit der Baumaßnahme führte der SiGeKo 5.293 Begehungen durch. Von den Begehungen stellten sich 4.706 (88,9 %) als mängelfrei dar. Dem standen 587 (11,1 %) mängelbehaftete Begehungen gegenüber.

Zur weiteren Bewertung der Mängel wurden diese anhand einer Bewertungsmatrix nach Nohl analysiert und eingeordnet (siehe oben). Die Anteile stellen sich in einem Diagramm wie folgt dar:

Neben der Bewertung nach dem Schweregrad der Mängel bei Begehungen wurden parallel auch die vorgefundenen Mängel nach den dazugehörigen Schwerpunktthemen aufgelistet, kategorisiert und ausgewertet. Die Top 5 der vorgefundenen Schwerpunktthemen waren:

  • Absperrung/Bauzaun/Baustellensicherung
  • Leitern
  • Ungesicherte Absturzkanten
  • Persönliche Schutzausrüstung (PSA)
  • Brand- und Explosionsschutz.

Die Auswertung ergab, dass sich die „klassischen“ Managementthemen, die überwiegend im Vorfeld durch die Auswahl und Begleitung der Uniper Wärme vorbereitet werden konnten, wie z. B.

  • Prüffristen und Kennzeichnung von Arbeitsmitteln,
  • Organisation der Rettungskette,
  • Betriebsanweisungen und
  • Sicherheitskennzeichnungen,

nicht als kritisch darstellten. Die Hauptmängel fanden sich bei den genannten Top-5-Schwerpunktthemen, die insbesondere den Mitarbeitern vor Ort zuzuordnen waren. Das persönliche Verhalten der Mitarbeiter bzw. die personenbezogenen Schutzmaßnahmen standen hier im Fokus.

Erkenntnis aus dem Projekt:

Durch viele auf der Baustelle geführte Einzelgespräche wurde eine kontinuierliche Verbesserung der Arbeitssicherheitsleistung erreicht. Man kann nur erahnen, welchen präventiven Nutzen die Abstellung dieser Mängel durch die Begehungen erbracht hat. Nicht nur das ggf. ersparte körperliche Leid der betroffenen Mitarbeiter, sondern auch die daraus resultierenden finanziellen Ersparnisse sind hier weit in den Vordergrund zu stellen. Jeder Unfall kann Ausfallzeiten und Kosten zur Rehabilitation mit sich bringen.

Durch die intensive Betreuung des SiGeKo im Laufe der Baumaßnahme hat sich ein stark präventiver Ansatz durchgesetzt, durch den viele Fehler im Vorfeld oder während der Baumaßnahme direkt angesprochen wurden und abgestellt werden konnten. Die Mängel wurden nicht nur über das Begehungsprotokoll beseitigt, das die Verantwortlichen in den meisten Fällen erst zeitversetzt erhalten, sondern auch durch intensive Gespräche mit den Mitarbeitern vor Ort. Dabei wurden eine kollegiale Arbeitsebene geschaffen und gemeinsam Lösungen erarbeitet.

Dieser präventive Ansatz hat nicht nur das Fehlverhalten punktuell abgestellt, sondern auch durch intensive Kommunikation auf Augenhöhe ein Umdenken bei vielen Mitarbeitern hervorgerufen:

  • Der SiGeKo ist nicht die Baustellen-Polizei, sondern ein Partner des Arbeitsschutzes.
  • Die Arbeitssicherheit darf die Arbeit nicht behindern, sondern soll die Arbeit sicherer machen.

Tim Schumacher, Uniper Wärme GmbH
Hanno Aelker, Präventionsabteilung BG ETEM